Natürlich wirkende Animationen bei menschlichen Charakteren
Neue Animationen sind mehr als nur eine optische Spielerei. Sie können auch das Gameplay eines Levels aufwerten. Selbst bei Gegnern mit neuen Meshes und Texturen verraten die klassischen Animationen schnell, um welchen es sich eigentlich handelt. Und wenn Lara auf einmal an neue Orte klettern oder springen kann, ist das doch auch sehr nett. Außerdem werden für Cutscenes häufig neue Animationssequenzen benötigt.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Animationen für den Gebrauch im Tomb Raider Leveleditor zu erstellen oder zu verändern. Dieses Tutorial behandelt NICHT diese technischen Aspekte. Wer sich dafür interessiert, sollte hier nachschauen:
Hier geht es also nur ganz allgemein um Positionen und Animationen von menschlichen Charakteren. Es ist daher komplett unabhängig davon, mit welchen Tools gearbeitet wird. Ich werde zwar immer Lara als Beispiel benutzen, es gilt aber genauso für jede andere menschliche oder menschenähnliche Figur. Möglicherweise hilft das Tutorial dem einen oder anderen auch in anderen Bereichen, zum Beispiel beim Zeichnen. Jetzt aber los!
Warum wirken so viele Animationen „steif” oder „seltsam”?
Es fällt jedem auf, wenn eine Animation nicht richtig ist. Aber nicht jeder kann erkennen, was der Grund dafür ist. Ist es der Oberkörper? Die Beine? Alles zusammen? Wer selbst animieren möchte, sollte seine Wahrnehmung für solche Nuancen schärfen.
Die ernüchternde Nachricht zuerst: Position und Bewegung von Körpern ist hoch komplex und unterliegt unzähligen physikalischen Gesetzen.
Die erleichternde Nachricht: Es muss gar nicht perfekt sein.
Tatsächlich empfinden wir von Motion Capturing erfasste Bewegungen sogar häufig als unnatürlich. Offenbar gibt es dabei auch eine Art Uncanny Valley.
Wir befinden uns immer noch in einem Computerspiel, da ist Vereinfachung und übertreibung erlaubt und erwünscht. Es reicht daher, die wichtigsten Dinge im Gedächtnis zu behalten und zu lernen, auf seine Intuition zu hören. Unbewusst haben wir nämlich großes Wissen darüber abgespeichert, wie Bewegungen aussehen müssen. Und nun die erste große Erkenntnis, die ganz allgemein gilt.
Merke: Betrachte das Po-Mesh als Ausgangspunkt aller Bewegungen. Fange hier die Animation an!
Das ist natürlich mit mehr Arbeit verbunden, als den Po ruhig zu halten und nur die Gliedmaßen zu bewegen. Kippt man den Po beispielsweise, dreht sich der komplette Körper mit, so dass man Oberkörper und Beine wieder in die Vertikale zurückdrehen muss. Aber die Arbeit ist es wert. Die folgenden Beispiele zeigen, dass man selten darauf verzichten kann, das Po-Mesh zu animieren.
Korrekte Körperhaltung und langsame Bewegungen
In diesem Kapitel geht es um Körper in Ruhe und in Bewegungen, die in jeder Phase gestoppt werden können, ohne dass die in der Bewegung eingefrorene Figur umfallen würde. Dies ist beispielsweise beim Gehen der Fall, beim Laufen aber nicht mehr.
Und so findet man raus, ob eine Ruheposition stabil ist:
Das Po-Mesh ist nicht nur deswegen wichtig, weil es der „Anker” der restlichen Körperteile ist. Der Körperschwerpunkt befindet sich bei jedem Menschen mehr oder weniger innerhalb des Bauches etwas oberhalb der Hüften, zumindest wenn er aufrecht und frei im Raum steht. Will man überprüfen, ob die Füße so stehen, dass die Figur nicht umkippt, ist die Vorstellung hilfreich, dass zwischen ihren Beinen ein Gewicht an einem Band baumelt. Okay, das sieht sehr, sehr seltsam aus.
Nun stellt man sich außerdem vor, um die Außenseite der Füße wäre ein Gummiband gespannt. Befindet sich das Gewicht nun auf der Fläche, die vom Gummiband aufgespannt ist, steht die Figur sicher. Das gilt allerdings nur, wenn der Oberkörper aufgerichtet ist!
Merke: überlege dir, wo der Schwerpunkt des Körpers liegt, und passe die Pose entsprechend an.
Nun ein kleines Beispiel. Lara soll lässig mit eingeknickter Hüfte herumstehen. Da drehe ich erst einmal das gesamte Objekt um das Basismesh, den Popo. Dann müssen Beine und Oberkörper wieder in Richtung der Horizontalen gedreht werden.
Im Bild rechts habe ich das linke Bein weiter unter den Körper geschoben. Warum das? Menschen stehen so, weil damit ein Bein entlastet wird, in diesem Fall das rechte. Das linke trägt also mehr vom Körpergewicht, daher ist es dichter am Körperschwerpunkt (denkt an das baumelnde Gewicht!) Diese Pose ist dennoch reichlich seltsam. So sieht es nach ein paar kleinen Korrekturen aus:
Schon viel besser, oder nicht? Was habe ich da gemacht? Zunächst habe ich den rechten Arm hängen lassen. Es würde sonst Kraft kosten, ihn in der vorherigen Position zu halten. Ein etwas subtilerer, aber sehr wichtiger Schritt ist es auch, die Schultern der Hüfte anzupassen. Genau hinsehen: Die linke Schulter hängt jetzt tiefer als die rechte. So wirkt die Pose entspannter und stabiler.
So sollte man es nicht machen:
Aaaaah.
Merke: Die Position der Hüfte und Schultern ist sowohl in statistischen Positionen als auch in Bewegungen fast immer entgegen gesetzt.
Zurück zu unserem Beispiel. Auch wenn jetzt von der Statik her die Pose in Ordnung ist, wirkt sie noch etwas verkrampft. Wer will, kann sich ja mal probeweise so hinstellen. Man fühlt sich wie ein Gorilla, nicht wahr? Wohin nur mit den verdammten Händen? Nun ist nicht gerade „zufällig” ein Bier oder eine Zigarette zur Hand, an der Lara sich lässig „festhalten” kann. Also was nun? Schauen wir uns an, was Profis machen, die oft mit leeren Händen in der öffentlichkeit herumstehen müssen.
Nee, dann nehmen wir doch lieber eine Pose aus dem Modekatalog.
Merke: Hat deine Figur gerade nichts zu tun, lasse sie möglichst nicht wie einen Gorilla mit betäubten Armen herumstehen.
Endlich wissen wir, warum man Lara auf Wallpapern selten ohne ihre Waffen sieht. ;-)
Gehen-Animation
Ich widme dem Gehen hier ein eigenes kleines Unterkapitel, da es wohl die Bewegung ist, die am häufigsten für Cutscenes erstellt wird. Gehen ist eine recht komplexe Abfolge von Bewegungen, aber mit dem bisher Gelernten sollte es schon möglich sein, eine halbwegs anständige Animation zu erstellen.
Hier sind ein paar Punkte, die man sich klar machen sollte.
- Ein Fuß bleibt immer im Kontakt mit dem Boden.
- Die Füße bleiben normalerweise in jeder Phase der Bewegung parallel und etwa hüftbreit auseinander. Es gibt aber auch andere Gangarten. Strebt man einen natürlichen Eindruck an, sollte man sich keine weiblichen Laufstegmodels als Referenz nehmen. Diese laufen meist mit beiden Füßen auf einer gerade Linie, oder überkreuzen diese Linie sogar. Männer neigen dazu, die Füße nach außen zu drehen.
- Die Hüfte knickt leicht (!) auf der Seite des Beines nach oben ein, das gerade den Großteil des Körpergewichtes trägt. Die Schulter auf der Seite bewegt sich entsprechend der Hüfte-Schulter-Gegenbewegung leicht nach unten.
- Ebenso dreht sich die Hüfte leicht (!) mit nach vorne, wenn der Fuß auf dieser Seite nach vorne geht, und die Schulter gleichzeitig nach hinten. Die übertreibung dieser Schulterbewegung führt zu einem machohaften Gang.
- Die Arme schwingen entgegengesetzt zu den Füßen. Bei der Armbewegung sollte man es nicht übertreiben, allerdings sollte man auch nicht den Gorilla mit betäubten Armen machen.
Hier ein kleines Beispiel, in dem dies alles zur Anwendung kommt.
Die erste Animation zeigt, wie wichtig es ist, die Hüfte und den Torso zu animieren. Die ganze Bewegung sieht grauenhaft steif aus. Die zweite Animation beinhaltet dagegen ein leichtes Auf und Ab bei jedem Schritt und die Hüfte-Schulter-Gegenbewegungen. Ich habe sie hier absichtlich sehr subtil gemacht, so dass man sehen kann, wie stark sich bereits diese kleinen aber wichtigen änderungen auf den Gesamteindruck auswirken.
Der Nachteil der zweiten Methode ist, dass es viel länger dauert. Ich habe für die zweite Animation mehr als dreimal so viel Zeit benötigt wie für die erste, da mit jeder Bewegung der Hüfte auch Torso und Beine wieder „korrigiert” werden müssen. Und die Animation ist noch lange nicht perfekt!
Merke: Es gibt keinen Weg daran vorbei, dass gutes Animieren viel Zeit kostet.
Verlagerung des Schwerpunktes
Nun ein weiteres Szenario: Lara möchte aus dem Stehen etwas aufheben, das vor ihren Füßen liegt. Ist doch einfach, oder? Man bückt aus der Hüfte mit dem Oberkörper nach vorne, und dann führt man noch einen Arm runter. Richtig?
Nee, sieht komisch aus.
Versucht doch mal, euch mit dem Rücken an die Wand zu stellen und durch Bücken etwas hochzuheben, das direkt vor euren Fußspitzen liegt. Wenn es klappt: Glückwunsch, sehr gute Körperkontrolle. Den meisten wird es nicht gelingen. Der Grund dafür ist die Verlagerung des Körperschwerpunktes durch das Vorbeugen des Oberkörpers. Unsere Muskeln können zwar einen Teil der Schwerpunktverlagerung kompensieren, so dass wir unsere Haltung nicht verändern müssen. Dies ist jedoch sehr anstrengend, daher neigen wir eher dazu, mit dem Körper auszuweichen. Das Gewicht des Oberkörpers geht hier beim Bücken nach vorne, daher wandert der Körperschwerpunkt zu den Zehenspitzen und darüber hinaus. Wenn wir nicht gerade mit dem Po an der Wand stehen, gleichen wir das aus, indem wir den Po über die Hacken schieben. Darüber müssen wir gar nicht nachdenken. Als Baby haben wir nämlich oft genug einen Swan-Dive ins Parkett gemacht, so dass sich die richtige Bewegung in unser Muskelgedächtnis eingebrannt hat. So ist es richtig. Die Veränderung ist wieder sehr subtil, aber der Unterschied ist enorm.
Wer kommt auch mit den Fingern an die Zehenspitzen? Naaaa? :-D
Lara ist sehr gelenkig, daher wird sie diese übung wohl problemlos bewältigen. Wer es weniger nach Turnhalle aussehen lassen möchte, lässt sie etwas in die Knie gehen, damit die Muskeln auf der Beinrückseite nicht so stark gedehnt werden müssen.
Nur sehr damenhaft ist die Pose nicht geworden. o.O
Aber darum ging es in dem Beispiel ja auch nicht. ;-)
Merke: Entscheide, ob eine Bewegung akrobatisch/angespannt oder entspannt/beiläufig aussehen soll. Im letzten Fall solltest du starke Belastungen oder Dehnungen der Muskeln vermeiden und entlastende Ausweichbewegungen einbauen.
Ein bisschen Studium der wichtigsten Muskelgruppen und ihren jeweiligen Funktionen schadet daher nicht. ;-)
Tragen von Gegenständen
Was passiert eigentlich, wenn man einen schweren Gegenstand hält? Das ist mit dem bisher Gelerntem einfacher umzusetzen als es aussieht. Man betrachtet Körper und Gegenstand als eine Einheit und überlegt sich wieder, wo der Schwerpunkt ungefähr liegt. Wer eine schwere Kiste trägt, muss es also irgendwie schaffen, den Gesamtschwerpunkt aus Körper und Kiste wieder auf die imaginäre Fläche zwischen den Füßen zu bekommen, ansonsten fliegt man auf die Nase. Ein paar Möglichkeiten, die mehr oder weniger praktikabel sind:
Mit der ersten, etwas eigenwilligen Haltung ruiniert man garantiert seinen Rücken. Die zweite fällt nicht jedem gleich ein, aber der Rücken wird es einem danken. Die rechte Version dürften die meisten für kurze Strecken verwenden.
Merke: Für das Tragen von Gegenständen gelten die gleichen Regeln wie für den gesamten Körper. Betrachte Körper und Gegenstand als Einheit.
Mit dem ganzen Körper Kraft auf einen Gegenstand ausüben
Schiebt Lara einen schweren Gegenstand, zieht an einer Kette oder drückt eine Platte in die Wand verlagert sie ebenfalls ihr Gewicht, um die Kraft ihrer Muskeln zu unterstützen. Man verleiht den Bewegungen sozusagen „Nachdruck.”
Dieser Wandschalter hier sieht beispielsweise sehr leichtgängig aus.
Wie kann man es schaffen, damit es aussieht als hätte Lara etwas mehr zu kämpfen, so wie man es bei einem antiken Mechanismus erwarten würde? Man lässt sie das Gewicht ihres Oberkörpers einsetzen. Schauen wir uns die klassische Wandhebel-Animation an.
Beim Herunterziehen hängt sie sich ein wenig an den Schalter, so dass ihr Gewicht mitzieht. In der zweiten Phase stützt sie sich mit dem Oberkörper auf den Schalter. Sieht schon mehr nach Arbeit aus, oder? Wenn die Muskelkraft nicht ausreicht, kann es notwendig sein, das gesamte Körpergewicht einzusetzen.
Merke: Muskelarbeit alleine sieht meist nach wenig Bemühungen aus. Setze zusätzlich Verlagerung des Schwerpunktes ein.
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