Beschleunigungen
Einer der Hauptgründe, warum Animationen häufig seltsam aussehen, ist ein falsches Beschleunigungsverhalten und falsche Reaktionen des Körpers auf äußere Beschleunigungen.
Dies liegt meistens daran, wie Animationen häufig erstellt werden: Man bestimmt Anfang und Endpunkt einer Bewegung, und das Programm berechnet die Bewegung zwischen diesen beiden Punkten. Das führt oft dazu, dass die Bewegung auf die Frames oder Keys (Ankerpunkte der Animation) in gleichmäßigen Zeitabständen aufgeteilt wird.
Beispiel: Ein Körper soll sich auf gerader Strecke bewegen. Überlässt man die Animation der Bewegung nun dem Programm, bekommt man unter Umständen eine solche Aufteilung. Der Pfeil zeigt in eine Raumrichtung, beispielsweise die x-Achse, die Zahlen stehen für die Nummer des Frames.
Das sieht zwar schön gleichmäßig aus, aber warum das häufig schlecht ist, und wie man es besser machen sollte, wollen wir heute klären. Dafür müssen wir ein bisschen Theorie machen, aber das ist schnell geschafft.
Beschleunigung — die Theorie
Zunächst müssen wir erst Mal den Begriff klären: Was ist eine Beschleunigung? Es ist die Veränderung einer Bewegung. Aber wann verändert sich eine Bewegung? Das lässt sich in zwei Punkte unterteilen:
Die Geschwindigkeit ändert sich
Fährt man auf die Autobahn, erhöht man die Geschwindigkeit. Dementsprechend fühlt man auch, wie man in den Sitz gepresst wird. Fährt das Auto aber erst einmal mit konstanter Geschwindigkeit, fühlt man auch keinen Druck mehr, auch wenn man mit 300 km/h über eine deutsche Autobahn donnert.
Als Änderung der Geschwindigkeit gilt natürlich genauso auch eine Verlangsamung. Im allgemeinen Sprachgebrauch nennt man es nur nicht Beschleunigung, aber physikalisch ist Bremsen auch eine Beschleunigung.
Die Richtung ändert sich
Auch das ist eine Beschleunigung. Man merkt es im Auto, wenn man in eine Kurve fährt, wie man zur Seite gedrückt wird. Auch ein sich mit gleicher Geschwindigkeit im Kreis bewegender Körper wird also ständig beschleunigt.
Merke: Sich auf einer geraden Bahn mit konstanter Geschwindigkeit bewegende Körper werden nicht beschleunigt.
Trägheit
Wir wissen, was Beschleunigungen sind, und daraus leitet sich praktisch unmittelbar ab, was Trägheit ist. Alles was eine Masse hat, wehrt sich sozusagen gegen jegliche Beschleunigung. Ein ruhender Gegenstand will einfach da bleiben, wo er ist.
Merke: Je schwerer ein Körper ist, umso mehr Kraft muss auf ihn ausgeübt werden, damit er sich in Bewegung setzt.
Aber genauso wird er etwas dagegen haben, wenn man ihn wieder stoppen will, oder seine Bewegungsbahn von seiner geraden Linie lenken will.
Merke: Ein sich bewegender Körper will in seiner (geradlinigen) Bewegung bleiben. Es wird Kraft benötigt, um ihn abzubremsen oder seine Richtung zu ändern.
Beschleunigungen in Animationen
So, die Theorie haben wir! Jetzt schauen wir mal, was wir mit dem Wissen anfangen können.
Ein menschlicher Körper ist als ganzes eine träge Masse. Man muss also Kräfte ausüben, um ihn in Bewegung zu setzen oder diese Bewegung zu verändern. Aber auch einzelne Körperteile, z.B. ein Arm oder ein Bein, sind träge Körper.
Und wie setzt man nun überhaupt Beschleunigung und Trägheit in der Praxis um? Im Grunde ist es einfach. Man sollte einfach Bewegungen vermeiden, die von 0 auf 100 (oder umgekehrt) in 0 Sekunden beschleunigen. Das ist in dem oben gezeigten Diagramm der Fall, wenn man davon ausgeht, dass das Würfelchen am Anfang und Ende liegen soll.
Merke: Eine beschleunigte Bewegung fängt langsam an und wird dann immer schneller.
Im Diagramm sieht das dann so aus.
In den ersten Frames wird noch nicht viel Weg zurück gelegt, aber die Abstände werden in den späteren Frames immer größer. Wer es genau wissen will: Der zurückgelegte Weg wird mit dem Quadrat der Zeit größer (multipliziert mit einem Faktor, der die Größe der Beschleunigung festlegt).
Beispiel:
- 1 Sekunde, 1 Meter
- 2 Sekunden, 4 Meter
- 3 Sekunden, 9 Meter
- 4 Sekunden, 16 Meter
- 5 Sekunden, 25 Meter
Der ganze Prozess rückwärts ist dann übrigens schon das Bremsen!
Doch halt, würde das nicht bedeuten, dass der Körper sich irgendwann unendlich schnell bewegt? Ja. Aber in der Realität sorgen Reibungskräfte dafür, dass irgendwann eine konstante Geschwindigkeit erreicht wird.
Noch einmal zum Vergleich: So sieht eine unbeschleunigte Bewegung aus.
Der pro Frame zurückgelegte Weg ist immer gleich groß.
Natürlich beschleunigen nicht alle Körper gleich schnell. Je mehr Kraft aufgewendet wird, und / oder je leichter sie sind, desto schneller beschleunigen sie. Man muss hier nicht herum rechnen, aber man sollte ein intuitives Gefühl entwickeln, wie beschleunigte Bewegungen aussehen.
Merke: Alle Bewegungen haben eine Beschleunigungs- und eine Bremsphase. Wirklich alle!
Manchmal ist sie nur sehr kurz. Aber sie ist immer da. Das gilt auch nicht nur für den Körperschwerpunkt sondern auch für die einzelnen Körperteile! Je größer und schwerer der Körperteil, desto deutlicher sollte die Trägheit dargestellt werden.
Wie sich ein menschlicher Körper selbst in Bewegung setzt
Jetzt wollen wir mal schauen, inwiefern uns die Theorie hilft, Animationen von menschlichen Charakteren zu verbessern.
Möglichkeit 1) Muskelarbeit
Natürlich sind Muskeln die Grundlage sämtlicher Bewegungen, aber hier meine ich Bewegungen die ausschließlich auf Kontraktion der Muskeln basieren. Ein Beispiel ist Abspringen aus der Hocke.
Möglichkeit 2) Schwerkraft
Man kann sich insbesondere beim Anlaufen auch die Schwerkraft zu Nutze machen. Besonders extrem wird dies beim Start von Sprintern deutlich. Auf Wikipedia habe ich folgende Briefmarke gefunden:
Niemand würde in einer solchen Position stehen können (siehe erstes Tutorial). Wozu dann diese extrem vorgebeugte Haltung? Das Vorbeugen in der Beschleunigungsphase verhindert das Umfallen nach hinten! Man stelle sich jemanden vor, der kerzengerade steht. Würden dessen Beine jetzt plötzlich losrennen, würde der Oberkörper aufgrund seiner Trägheit verharren, und die Beine würden unter ihm nach vorn weglaufen. Der Sprinter muss sich also genau so stark vorbeugen, dass die Schwerkraft den eben beschriebenen Effekt kompensiert. Je näher er seiner Endgeschwindigkeit kommt (desto kleiner die Beschleunigung wird), desto aufrechter wird sein Sprint. Das ist also keine Option, sondern eine Notwendigkeit.
Möglichkeit 3) Ausholen
Als Ausholen bezeichne ich Bewegungen, die erst einmal in die scheinbar falsche Richtung gehen, um die eigentliche Bewegung einzuleiten. Das kann mehrere Zwecke erfüllen.
- Man verlängert den Weg, der für eine Beschleunigung zur Verfügung steht. So kann eine höhere Geschwindigkeit erreicht werden. Ein Ball fliegt weiter, wenn man ihn mit einer weiten Ausholbewegung wirft, da er auf dem längeren Armweg stärker beschleunigt werden kann.
- Man setzt Muskeln in einem für sie effektiveren Bereich ein oder macht die Bewegung dadurch erst möglich. Aus einer nur leichten Kniebeuge springt man schlechter ab als aus einer tiefen. Siehe auch Punkt 1.
- Man kann durch Ausholbewegungen die Schwerkraft ausnutzen. Man stelle sich eine sehr schwere Kugel vor, die an einem langen Seil befestigt ist. Will man sie zum Schwingen bringen, gibt es eine schlaue, und eine weniger schlaue Möglichkeit:
- A) Man schiebt die Kugel aus der Ruheposition an.
- B) Man zieht die Kugel etwas zurück und stößt sie dann nach vorne.
Hier ein Beispiel für eine typische Ausholbewegung. Lara nimmt ihre Arme vor dem Absprung nach hinten, um sie dann in einer sehr schnellen Bewegung nach oben zu werfen. Die Arme erzeugen eine Beschleunigung in die Sprungrichtung, so dass die Bewegung unterstützt wird.
Abbremsen
Auf Grund der Komplexität des menschlichen Körpers ist Abbremsen nicht das gleiche wie in Bewegung setzen. Natürlich sind immer noch die gleichen Regeln am Werk, aber man kann auch hier ein paar vereinfachte, typische Abläufe feststellen.
Möglichkeit 1) Muskelspannung
Unsere Muskeln können nicht nur eine Bewegung auslösen, sondern auch eine Bewegung stoppen. Wenn man dies allerdings zu abrupt animiert, sieht es unglaubwürdig aus.
Ein schönes Beispiel ist die Vorwärtsrolle aus dem Sprinten in die Hockposition.
Lara kommt bereits in Phase 2 in der Endposition an, aber ihr Körper will sich auf Grund der Trägheit noch weiter bewegen. In Phase 3 sieht man den Oberkörper daher ein wenig nach vorne kippen, was sie dann durch Anspannung der Muskulatur kompensiert. Diese subtile Kippbewegung macht die ganze Animation glaubwürdiger als wenn sie nach einer derartig schnellen vorangehenden Bewegung plötzlich in der Hockposition „versteinert.”
Möglichkeit 2) Schwerkraft
Man kann auch die Schwerkraft ausnutzen, um eine Bremsbewegung zu unterstützen. Hier ebenfalls ein Beispiel für Abbremsen nach dem Sprinten. Lara lehnt sich leicht zurück. Würde sie nicht schnell unterwegs sein, wäre diese Haltung sehr instabil.
Quiiiieeetsch.
Indem die Kraft, die Lara sonst nach hinten umfallen lassen würde, mit der Vorwärtsbewegung überlagert wird, wird ein Teil dieser kompensiert, so dass das Abbremsen leichter fällt. Mit dem Fuß über den Boden zu schaben erzeugt auch eine Menge Reibung, so dass noch mehr Bewegungsenergie abgebaut wird.
Möglichkeit 3) Ausholen
Das geht auch beim Bremsen! Schaut mal hier die Arme von Lara an, wenn sie nach einer Rutschpartie rückwärts auf festen Boden ankommt.
Nichts geht mehr?
Hier noch ein paar Tipps, wie man vorgehen kann, wenn Animationen seltsam aussehen, aber man nicht so recht weiter kommt. Manchmal sieht man eben den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, wenn man zu lange an etwas herum gewerkelt hat.
Lass die Animation rückwärts laufen.
Genauso wie es bei einer Zeichnung helfen kann, sie auf den Kopf zu drehen oder mit Hilfe von durchscheinenden Licht von Hinten anzuschauen, kann eine Veränderung der Perspektive helfen, die Animation objektiver zu beurteilen.
Lass die Animation langsam oder schnell laufen.
Auch eine Veränderung der zeitlichen Perspektive kann hilfreich sein. Vor allem die langsam laufende Animation zeigt häufig Fehler im Beschleunigungsverhalten.
Einzelne Punkte anschauen
Je nachdem, mit welchen Programm man arbeitet, hat man die Option, sich sogenannte Bewegungsbahnen der einzelnen Meshes anzuschauen. Hier sieht man sehr schön, wenn es irgendwelche Phasen in der Bewegung gibt, die „ausreißen.” Das müssen keine Fehler sein, aber es lohnt sich, solche Stellen zu überprüfen.
Allgemein kann man sagen, dass Bewegungsbahnen eher Kreisen, Ellipsen und Schlaufen beschreiben sollten. Auch enge Schlaufen, die zu Umkehrpunkten verengt sind, sind in der Regel in Ordnung. Vermeiden sollte man Quadrate oder andere Vielecke. Auch wenn die Bewegungsbahn aussieht wie die Krabbelspur einer betrunkenen Ameise sollte man noch mal genauer hinschauen.
Was anderes machen
Ernsthaft. Nach einer Nacht oder einen Spaziergang später ist man ein besserer, eigener Kritiker als nach fünf Stunden Arbeitsmarathon.
Wenn du diesen Text oder Teile davon anderswo veröffentlichen möchtest, frage bitte Codo vorher um Erlaubnis!
Wie jedes Jahr gibt es auch wieder den TRForge-Adventskalender-Wettbewerb. Erfülle zu jedem Türchen die passende Aufgabe und sammele Punkte, um am Ende die Chance zu haben einen tollen Preis zu gewinnen! Weitere Infos findest du hier: Contest, oder wenn du auf der Kalenderseite Lara anklickst.